Engelbergplatz / Brautstr. 1 – Geschichte Familien Schragenheim/Meyer
Vor 1900: Familie Schragenheim
Das Haus an der Ecke Engelbergplatz/Brautstr. 1 (alte Gebäudenummer 98, Parzelle 188) war zunächst im Besitz von Jakob Schragenheim (29.01.1824 – 04.05.1886), einem jüdischen Leinenhändler aus Rethem, Aller. Seine Schwester Bertha war mit dem ebenfalls jüdischen Bruchhauser Kaufmann Salomon Meyer verheiratet. Jakob Schragenheim erhielt 1862 in Vilsen die „Conzession zum Handel mit Manufacturwaren“ und heiratete ein Jahr später Sienchen, geb. Jacobsohn, (1824-1886) aus Sulingen. Der für das Jahr 1873 belegte Umsatz des Geschäfts (9.000 Meter Leinen / 4500 Goldmark) deutet darauf hin, dass die Familie wohlhabend war. Er war 1882 einer der Mitbegründer der Leinenwebschule in Vilsen, ab 1899 Genossenschaft Preussische Webereilehrwerkstätte zu Vilsen, die überregional ausbildete. 1) 2) 3)
Das Paar hatte drei Kinder: Julius (1864–1891), der Kaufmann wurde, früh starb und auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Harburg begraben ist; Helene (1866 – 1922), die in Bremen den Kaufmann Adolf Abraham Alexander heiratete; und Martha (1874 – 1944), die eine leichte Körperbehinderung hatte und unverheiratet blieb. 4)
Nach dem Tod von Jacob Schragenheim am 4.5.1886 erschien im Hoyaer Wochenblatt folgende Würdigung:
(Ein langer Trauerzug) bewegte sich gestern Nachmittag … nach dem zwischen Bruchhausen und Hoya belegenen israelitischen Friedhofe. Man geleitete die irdischen Ueberreste des Kaufmanns J. Schragenheim aus Vilsen zu letzten Ruhe. Unter den etwa 200 Personen, welche dem Sarge folgten, befanden sich sämmtliche Mitglieder unseres Gesangvereins, denen die umflorte Vereinsfahne vorangetragen wurde. Herr Schragenheim war das älteste Mitglied und Mitbegründer des Sängerbundes. Am Grabe sang der Verein dem entschlafenen Sangesbruder ein ergreifendes Abschiedslied. Der Verstorbene genoß im ganzen Kirchspiel den Ruf eines ehrenhaften Mannes und opferwilligen guten Bürgers, der auch im Stillen viel Gutes that. Von ihm konnte man sagen: Er hatte keinen Feind! Friede seiner Asche! 6)
Im Jahr 1896 starb auch seine Frau Sienchen, und seine Tochter Martha zog im November 1897 nach Bremen in die Hastedter Chaussee (im 1. Weltkrieg umbenannt in Hastedter Heerstraße) 313. Dort lebte sie im Haushalt ihrer Schwester Helene, die 1922 verstarb, und danach bei ihrem Neffen Erich Alexander. Martha Schragenheim war „wegen ihrer hohen Schnürstiefel in ganz Hastedt bekannt“, die sie wohl wegen ihrer Behinderung trug. Sie wurde 1944 in Theresienstadt ermordet und hat einen Stolperstein in Bremen. Erich Alexander, der Sohn von Helene Schragenheim, wurde mit seiner Familie in Minsk ermordet wurde und hat ebenfalls in Bremen einen Stolperstein. 7) 8) 9)
Bis 1925: Familie Meyer
Jacob Schragenheims Schwester Bertha (1818 – 1919) war mit Salomon Meyer verheiratet. Die Familie Meyer war mindestens seit 1777 in Bruchhausen/Moor ansässig.
Salomon Meyer betrieb laut Preussischem Staatsanzeiger bereits seit mindestens 1868 die Firma Salomon Meyer in Vilsen. Sein Sohn Max Meyer war Gemeindevorstand der Synagogengemeinde und laut mündlichen Überlieferungen gab es im Haus der Meyers auch einen Gebetsraum.11)
Das Haus an der Ecke Engelbergplatz (ehemals Centralplatz)/Brautstr. 1 (alte Nummer 98) kam nach dem Wegzug von Martha Schragenheim 1897 in den Besitz von Max Meyer, der darin einen Leder- und Schuhhandel betrieb.
1924 verstarb Max Meyer und seine Frau Klara Meyer erbte das Haus. Sie verpachtete es ab 1925 an den Geschäftsnachfolger Georg Salomon und seine Familie (Fortsetzung Familie Salomon siehe dort) .
Klara Meyer hielt sich danach vorwiegend bei ihrer Schwester Meta in Stadtoldendorf auf, war aber laut Rückerstattungsakte 1934 in Vilsen, um ihr Haus am Engelbergplatz für den geringen Betrag von 9000 RM zu verkaufen. Im Rückerstattungsprozess wurde angegeben, dass das Haus seit einigen Jahren in einem schlechten Zustand gewesen sei. An anderer Stelle findet sich die Aussage, dass Georg Salomon seit zwei Jahren, also seit 1932, keine Miete gezahlt habe. Diese finanziellen Probleme sind im Zusammenhang mit den im Kreisgebiet mindestens seit 1932 laufenden Boykotts gegen jüdische Geschäfte zu sehen. 14) 15) 16)
Am 17.06.1939 zog Klara Meyer nach Hannover in die Goethestraße 38, aber schon einen Monat später in das jüdische Altersheim am Emmerberg 31, das 1941 im Rahmen der Aktion Lauterbacher in ein Judenhaus ungewandelt wurde. Ihrer Schwester gelang noch im Jahr 1940 die Auswanderung nach La Paz/Bolivien. Im Altersheim musste Klara um den Jahreswechsel 1939/1940 ihr letztes Ackergrundstück an der Bruchhöfener Strasse für 1920 RM verkaufen. Das Geld wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt, von dem wahrscheinlich geringe Beträge für ihren Lebensunterhalt entnommen wurden. Eine freie Verfügung über ihr Vermögen war Juden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Im Februar 1942 kam sie in das Judenhaus Bergstraße 8 und im Juni 1942 in das Judenhaus Wunstorfer Landstraße 16a. Am 23.07.1942 wurde sie von Hannover aus in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 13.08.1942 wurde ihr Bankkonto durch einen sog. Heimeinkaufsvertrag belastet, d.h. auf Veranlassung der Gestapo mussten Juden Vorauszahlungen für ihre lebenslange Unterbringung in Theresienstadt leisten. Einen Monat später, am 29.09.1942, wurde Klara Meyer von Teresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurde sie am 01.10.1942 ermordet. Für Klara Meyer wurde ein Stolperstein in Stadtoldendorf verlegt. 18) 19) 20)
References
↑1 | NLA HA, Hann. 142, Nr. 454 |
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↑2 | http://www.stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=374 |
↑3 | Kreiszeitung 27.09.16 Spuren der Leinenweber in Bruchhausen-Vilsen |
↑4 | Personenstandsurkunden des Standesamts in Vilsen |
↑5 | www.ansichtskarten-bruchhausen-vilsen.de |
↑6 | Hoyaer Wochenblatt 4.5.1886 |
↑7 | Staatsarchiv Bremen, Einwohnermeldekarte 4,82/1 – 1/2024 |
↑8 | Stolperstein Martha Schragenheim http://www.stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=374 |
↑9 | Stolperstein Erich Alexander http://www.stolpersteine-bremen.de/detail.php?id=150 |
↑10 | GemA BVI 03 Literatur 50.341.01 |
↑11 | GemA BVI 03 Literatur 50.341.01 |
↑12 | www.ansichtskarten-bruchhausen-vilsen.de |
↑13 | www.ansichtskarten-bruchhausen-vilsen.de |
↑14 | Erich Hillmann–Apmann: Schwarme. Ein Dorf im Nationalsozialismus. Hg.: Heimat-, Umwelt- und Kulturverein „Eule“, Schwarme 2002 |
↑15 | Wann wird man je versteh’n … : der Weg der Hoyaer Juden bis 1942 / Heike Mallus-Huth ; Hans Huth, Mannheim : VWM-Verl. Wagener, 1992 |
↑16 | NLA ST Rep. 171 Verden Rückerstattung acc. 2009/057 Nr. 640 |
↑17 | https://jens-m-std.jimdofree.com/klara-meyer-geb-winkler/ |
↑18 | https://jens-m-std.jimdofree.com/klara-meyer-geb-winkler/ |
↑19 | NLA ST Rep. 171 Verden Rückerstattung acc. 2009/057 Nr. 643 |
↑20 | https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420723.html |
↑21 | https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420723.html |
↑22 | https://arolsen-archives.org/ |