Bruchhöfener Str. 16 – Henny und Rieckchen Meyer

Bruchhöfener Str. 16 – Henny und Rieckchen Meyer

  • Henny Meyer
  • Rieckchen (Friederike) Meyer

Henny Meyer (16.7.1852 – 18.05.1938) und Rieckchen Meyer (02.01.1858 – 14.11.1942) waren zwei unverheirateten Töchter von Salomon Heinemann Meyer und Bertha Meyer, geb. Schragenheim. Ihr Bruder war Max Meyer. Die Familie war seit mindestens 300 Jahren in Moor (Bruchhausen) ansässig, wo sie ein schönes Haus besassen (siehe hier). Der Vater war Synagogenvorstand und die Familie soll eine Betstube im Haus gehabt haben (Zeitzeugenbericht an Herrn Bomhoff). Nach dem Tod des Vaters zog die Familie nach Vilsen, wo sie ab 1883 gemeldet gewesen sein soll. 1) 2) 3)

Henny Meyer hatte in Vilsen schon vor 1900 ein Putzgeschäft, d.h. sie verkaufte Hüte. Ihre Werbeanzeigen erschienen teilweise zusammen mit denen ihres Bruders Max Meyer, der sein Leder- und Schuhgeschäft am damaligen Centralplatz, heute Engelbergplatz, betrieb. Das Haus hatte vorher Jacob Schragenheim gehört und kam wohl über seine Schwester Bertha, die mit Salomon Meyer verheiratet war, in die Familie Meyer. Henny Meyer führte ihr Geschäft bis 1914 und setzte sich dann im Alter von 62 Jahren zur Ruhe. 4)

Putzgeschäft Henny Meyer, Anzeigen von 1898, Anzeigen von Henny Meyer und Max Meyer, 1913

Über Rieckchen Meyer ist, wie über viele unverheiratete Frauen, nur wenig bekannt. Sie soll im Familiengeschäft ausgeholfen haben. Im Alter wohnten die Schwester Henny und Rieckchen zusammen in der Bruchhöfener Str. 16 (alte Nummer 139). Henny Meyer verstarb am 18.05.1938 mit 86 Jahren.

Während des Novemberpogroms beschlagnahmte am 10.11.1938 ein Trupp SA-Männer zunächst Geld und eine Pistole bei Emil Lindenberg. Danach kamen sie auch zu der weiter unten an der Bruchhöfener Strasse wohnenden Rieckchen Meyer, bei der sie Geld konfizierten, welches bei der Sparkasse hinterlegt wurde. Wahrscheinlich wurde auch ihr Konto gesperrt. 5)

Bis Ende des Jahres 1938 musste Rieckchen wie alle Jüdinnen den Namen Sara annehmen. Obwohl der Mieterschutz für Juden Ende 1938 aufgehoben wurde, konnte Rieckchen zunächst in ihrer Mietwohnung bleiben. In Syke wurde zeitgleich Druck auf „arische“ Vermieter ausgeübt, ihren jüdischen Mietern zu kündigen. 6)

Anscheinend waren die Schwestern bis dahin auch der finanziellen Überwachung entgangen. Ende 1939 oder Anfang 1940 geriet Rieckchen Meyer dann in den Fokus des Oberfinanzpräsidenten in Hannover. Die Sparkasse wurde über ihre Vermögensverhältnisse befragt und antwortete am 18.01.1940: 7)

Die Jüdin Fräulein Rieckchen Sara Meyer, Bruchhausen-Vilsen, hat bei uns ein laufendes Konto, von dem sie monatlich kleine Beträge (meistens RM 25,–) und ihre Miete abhebt.
Rieckchen Meyer hat uns gesagt, dass sie ein Schreiben wegen Sicherungsanordnung nicht erhalten hat. Sie ist aber sehr alt (über 80 Jahre) und wäre es daher möglich, dass sie sich irrt bzw. dass sie den Brief nicht beachtet hat. Um sicher zu gehen, dass wir sie wie bisher über das Konto verfügen lassen können, bitten wir um eine disbezügliche Genehmigung.

Heil Hitler!
Sparkasse des Kreises Grafschaft Hoya zu Syke, Hauptzweigstelle Vilsen

Antwort der Sparkasse Vilsen an den Obersten Finanzpräsidenten, Hannover. 8)

Nachdem sie einmal unter Beobachtung geraten war, musste sie anscheinend auch ihre Mietwohnung verlassen, denn ab dem 03.01.1940 war sie bei den Lindenbergs im Haus Nr. 48 (heute Engelbergplatz 3) gemeldet. Emil Lindenberg schrieb am 04.02.1940 für sie an den Oberfinanzdirektor: 9)

Mein Vermögen beträgt 1096,98 M. In dieser Summe ist der Betrag von 500M enthalten, der mir im vorigen Jahre von einer ausgewanderten Verwandten zur Lebenshaltung überwiesen wurde. Zwei mal je [?] 250 M. Sonst habe ich kein Vermögenswerte. Ich selbst bin 82 Jahre alt. Obiges Geld ist auf der Sparkasse, Geschäftsstelle Vilsen angelegt.
Ergebenst
[Brief in Emil Lindenbergs Handschrift]
Rieckchen Sara Meyer

Unterschrift von Rieckchen Meyer, Brief an den Oberfinanzpräsidenten 1940

Am 04.02.1941 kam Rieckchen Meyer nach Hannover ins Jüdische Krankenhaus in der Ellernstrasse, das am 04.09.1941 in ein Judenhaus umgewandelt wurde. Die Bewohnerzahl verdoppelte sich fast innerhalb eines Monats, obwohl das Gebäude immer noch als Krankenhaus diente.

Unterschrift von Rieckchen Meyer, Vermögenserklärung 1942, 2 Tage vor der Deporation 10)

Wie andere Juden aus dem norddeutschen Raum wurde Rieckchen Meyer wohl um den 20. Juli verhaftet und in der Jüdischen Gartenbauschule in Ahlem untergebracht. Diese bestand seit 1893 und bildete ab 1933 jüdische Jugendliche als Vorbereitung für die Auswanderung aus. Ab 1941 wurde die Gartenbauschule Judenhaus und Sammelstelle für Deportationen in Vernichtungslager. Vor der Deportation wurden die Gefangenen in den Gewächshäusern zusammengepfercht. Rieckchen Meyer musste noch wenige Tage vor der Deportation eine Vermögenserklärung abgeben. Sie besass nichts mehr. 11)
Am 24.07.1942 wurde sie im Alter von 84 Jahren von Ahlem aus über den Bahnhof Hannover-Linden mit dem Transport VIII/1 nach Theresienstadt deportiert, wo sie nur bis zum 14.11.1942 überlebte. 12) 13)

Zustellungsurkunde für Rieckchen Meyer in der Gartenbauschule Ahlem, 1942. 14)

  

Deportationsliste Transport VIII/1 1942 ab Hannover 15)
Todesfallanzeige von Rieckchen Meyer, KZ Theresienstadt 16)

 

References

References
1 Meldekarte Samtgemeindearchiv Bruchhausen-Vilsen
2 Stammbaum Familie Meyer, GemA BVI 03 Literatur 50.341.01
3 Schmidt-Bollmann, Günther, Friedhof Hoyerhagen [DVD], Beilage zu: Hornecker, Elfriede (2017) Woher.Wohin: jüdische Familien im Hoyaer Land, Hoya: Heimatmuseum Grafschaft Hoya e.V.
4 Hoyaer Wochenblatt 6.6.1914
5 NLA ST Rep 171a Verden Nr. 589
6 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
7 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
8 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
9 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
10 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
11 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
12 Deportationsliste Transport VIII/1 1942 ab Hannover
13 https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/25071-friederike-meyer/
14 NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nr. 1258
15 https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420723.html
16 https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/25071-friederike-meyer/