Bahnhofstr. 53 – Familie Richard Lindenberg
- Richard Lindenberg
- Jenny Lindenberg, geb. Feilmann
- Lotte Lindenberg
Richard Lindenberg (*01.04.1871) war der zweitälteste Sohn von Salomon Lindenberg. Der älteste Sohn Alfred war bereits vor 1900 nach Berlin verzogen und jung verstorben. Seine Frau war nicht jüdisch. Nachdem der Vater Salomon sich im Alter aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, waren Richard und sein jüngerer Bruder Hugo Geschäftsführer der Firma S. Lindenberg im alten Lindenberg’schen Geschäfthaus in der Bahnhofstrasse. Eventuell betrieben sie auch gemeinsam die Firma Gebrüder Lindenberg für Putz-, Mode-, Woll- und Weisswaren, die im Bremer Adressbuch vor 1904 in der Waller Chaussee 41 gemeldet war. 1) 2)
Wie sein Vater Salomon war Richard anscheinend geschäftlich an der Küste unterwegs. 1908 heiratete er in Jever die Viehhändlertochter Jenny Feilmann (*1878). Die gemeinsamen Töchter Käthe und Lotte wurden 1909 und 1912 in Vilsen geboren. Auch Richard kämpfte wie seine Brüder Hugo und Emil im 1. Weltkrieg. 3) 4)
Ab 1919 pachtete Richard außerdem in Westerstede (Ammerland, bei Oldenburg) eine Filiale der bekannten Warenhauskette Valck. Die Töchter waren als Teenager im Westersteder Sportverein aktiv. 6) 7)
Da das Ammerland bei Oldenburg, und besonders Westerstede, zu den Hochburgen der NSDAP vor 1933 zählen, waren die Westersteder jüdischen Familien schon sehr früh gewalttätigem Antisemitismus ausgesetzt. Zeitzeugen berichten von Überfällen auf der Strasse und bei Tanzveranstaltungen, und im Jahr 1932 wurde ein jüdischer Viehhändler unter ungeklärten Umständen tot auf der Weide gefunden. Schon 1928 erreichte die NSDAP in Westerstede bei den Reichstagswahlen 30%, 1932 lag sie bei 80%. Zeitgleich wurde am Rathaus Westerstede ein Hakenkreuzfahne gehisst. Folgerichtig meldete die Stadt schon frühzeitig die erfolgreiche „Entjudung“ des Geschäftslebens. 9) 10)
Unklar ist, ob die sich verschärfende politische Situation ein Auslöser war, warum Richard und Jenny Lindenberg schon 1929 ihre Tochter Käthe dauerhaft zu ihrer Tante in die USA schickten. Ab 1933 scheint sich die Familie nur noch in Vilsen im Lindenberg’schen Geschäftshaus an der Bahnhofstrasse aufgehalten zu haben. Durch die Verfolgungs- und Boykottsituation hatten sie wahrscheinlich massive finanzielle Probleme, so dass das Vilser Adressbuch von 1936 Richard nur noch als Arbeiter, und nicht mehr als Kaufmann führte. 11) 12)
1935 wurde Richard beim Bau der Harzwasserleitung in Bruchhausen-Vilsen eingesetzt, obwohl er schon 64 Jahre alt war. Bürgermeister Schirmer (NSDAP Stützpunktleiter von Bruchhausen seit 1930) versucht in seinem Entnazifizierungsverfahren seine Judenfreundlichkeit mit den folgenden Worten zu beweisen: 13)
Der Jude [Richard] Lindenberg war auch bei den Arbeiten an der Ortswasserleitung tätig. Da er ein schwächlicher Mensch war, gab ich dem Bauführer [Breithaupt von den Franke Werken in Bremen] den Auftrag, ihm nur leichte Arbeiten zu übertragen.
Im Januar 1935 emigrierte zuerst die jüngere Tochter Lotte Lindenberg auf der „Europa“ von Bremen aus in die USA. 1936 folgten ihre Eltern Richard und Jenny auf der „Bremen“, die am 14. August in New York ankam. Es ist möglich, dass Richards Bruder Emil die teuren Schiffpassagen mitfinanziert hat, da er einige Monate zuvor ein Wiesengrundstück für 1850 RM verkauft hatte. 15)
Jenny Lindenbergs Schwester Frieda gelang die Flucht nach Holland, aber nach Einmarsch der Deutschen wurde sie in Westerbork interniert und schließlich in Auschwitz ermordet. Ihre Mutter Nanny kam in Theresienstadt ums Leben, ihr Bruder Carl und seine Frau Marianne wurden nach Minsk deportiert. Für sie wurden Stolpersteine in Hamburg verlegt.
References
↑1 | Mitteilung Familie Lindenberg |
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↑2 | Adressbuch Bremen 1904 |
↑3 | Mitteilung Familie Lindenberg |
↑4 | Adressbuch Bremen 1904 |
↑5 | Bildrecht Familie Lindenberg USA |
↑6 | Vahlenkamp, Werner (1988) Die Geschichte der Westersteder Juden: Aufstieg und Vernichtung einer kleinen Minderheit, Plois |
↑7 | Pfeiffer, Lorenz; Wahlig, Henry (2012) Juden im Sport während des Nationalsozialismus: Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen, Wallstein |
↑8 | Vahlenkamp, Werner (1988) Die Geschichte der Westersteder Juden: Aufstieg und Vernichtung einer kleinen Minderheit, , Plois, |
↑9 | Vahlenkamp, Werner (1988) Die Geschichte der Westersteder Juden: Aufstieg und Vernichtung einer kleinen Minderheit, Plois |
↑10 | Schaap, Klaus, Oldenburgs Weg ins „Dritte Reich“, S. 204 |
↑11 | Meldekarten Samtgemeindearchiv Bruchhausen-Vilsen |
↑12 | Adressbuch Bruchhausen-Vilsen 1936 |
↑13 | Entnazifizierungsakte Heinrich Schirmer, Landesarchiv Hannover |
↑14 | GemA BVI, 20 Bruchhausen-Vilsen, 20.132.06 |
↑15 | NLA ST, Rep. 171 Verden Rückerstattung, acc. 2009/057 Nr. 362 |