Bahnhofstr. 53 – Geschichte Familie Lindenberg
Frühe Geschichte: Familie Lindenberg
Um 1930 befand sich im Haus in der Bahnhofstrasse 53 (alte Nummer: 62/63), eine grosse geschnitze Holztafel aus dem Jahr 1806 mit einem jüdischen Gebet. Das Hoyaer Wochenblatt berichtete:
Ein Erinnerungszeichen aus längst vergangenen Tagen.
wurde bei Aufräumarbeiten, die im alten Lindenberg’schen Geschäftshause vorgenommen wurden, aufgefunden. Es war eine Holztafel mit sauber geschnitzer Inschrift, die einstmals den Bärenstall am Kirchplatz geziert hat. Zwei Sprüche, in hebräischer und deutscher Sprache geschrieben, sind noch deutlich zu lesen. Die deutsche Inschrift hat folgenden Wortlaut: „Gebet Davids. Neige o Ewiger Dein Ohr und höre mein Gebet. Laß dein erhabenens Auge diesem Hause stets geöffnet sein. Denn nur unter deiner Aufsicht ist es sicher. 1806.

Anfang der 1970er Jahre wurde diese Holztafel erneut bei Arbeiten im Haus aufgefunden. Die Kreiszeitung berichtete, dass sich die deutsche Inschrift auf der rechten und die hebräische Inschrift auf der linken Seite befand, und bildete auch ein Foto ab.
Der Balken stammte aus dem Jahr 1806, die Familie Lindenberg ist aber wahrscheinlich schon länger ortsansässig. Ein (David) Abraham wird in Dokumenten von 1777 erwähnt. Im Namen der Jüdischen Gemeinde beantragte er, den Vilser Markttag auf einen anderen Tag zu verlegen, weil er auf den Sabbath fiel. 2)
Im Staatsarchiv Bremen ist ein „Lintenberg, Abraham David, Kaufmann zu Vilsen“, für die Franzosenzeit (ca. 1803-1815) registriert. Er war mit Perel Meier verheiratet, verstarb am 7. Februar 1832 in Vilsen und ist in Hoyerhagen begraben. 3)
Ein (Abraham?) David Lindenberg beantragte im Jahr 1820, dass der Vilser Markt wegen Zusammenfallens mit einem jüdischen Feiertag verschoben werden sollte. Ein David Abraham Lindenberg, der vielleicht Abraham Davids Sohn oder Bruder war, war mit Clara Meyer, geb. 25.01.1783 in Moor, verheiratet (siehe Familie Meyer). David Abraham verstarb am 22.11.1810 und ist auf dem jüdischen Friedhof in Hoyerhagen begraben. 4) 5)
Clara Meyer, verwitwete Lindenberg, neu verheiratete Cohn, verstarb am 30.09.1862 in Vilsen und ist ebenfalls in Hoyerhagen begraben. Da ihr Mann jung verstarb, musste sie vielleicht ihre Kinder alleine versorgen, so dass 1818 die Kaufmannsinnung der Flecken gegen eine Witwe Lindenberg wegen Hausierens klagte. Es könnte sich hierbei aber auch um die Witwe von Abraham David gehandelt haben. 6)
Die Tochter Hendel (Henriette?) von David Lindenberg heiratete vor 1840 Schrage Fajs Schragenheim aus Rethem. Die Familie Schragenheim zog später nach Vilsen. 7)

Juden waren vor 1800 in Deutschland nur als sog. Schutzjuden geduldet, d.h. sie mussten einen Schutzbrief kaufen und andere Gebühren entrichten. Während der Besatzung durch die Franzosen erhielten Juden eine annähernde rechtliche Gleichstellung, die allerdings danach wieder teilweise zurückgenommen wurden. Trotz dieser Ungleichbehandlung konnten die Lindenbergs und andere Juden anscheinend mehrfach erfolgreich bewirken, dass der Markt wegen des Sabbath verlegt wurde. Anscheinend hat der Gemeinderat von Bruchhausen im Jahr 1723 sogar Ostern verschoben, weil es auf einen jüdischen Feiertag fiel. 9)
Aufgrund der rechtlichen Gleichstellung während der französichen Besatzung nahmen Juden in Deutschland auch zum ersten Mal Familiennamen nach deutschem Vorbild an. In der jüdischen Namenskonvention wird normalerweise der zweite Name einer Person aus dem Vornamen des Vaters gebildet. Es ist also wahrscheinlich, dass die Namen Abraham-David und David-Abraham der jüdischen Konvention folgen, während der Name Lindenberg zusätzlich als Familienname angenommen wurde.
1830: Familie Gerson David Lindenberg
Gerson David Lindenberg (*1808), der Sohn von David Abraham und Clara, ist ab 1836 für das Haus Nr. 63 eingetragen 10). Er erwarb weitere umliegende Gebäude, die wie der alte „Bärenstall“ wohl teilweise für den Bau der Assessorstrasse im Jahr 1908 abgerissen wurden. In der Gebäudesteuerrolle um 1880 wird das Grundstück mit der doppelten Gebäudenummer 62/63 (Parzelle 142) geführt. 11)

Die Größe und zentrale Lage des Besitzes an der Kirche deuten darauf hin, dass Gerson David Lindenberg ein wohlhabender Mann war. Er gründete sein Geschäft 1833 und besass somit das drittälteste Vilser Leinenhandelshaus. In den Leggeberichten wird es regelmässig als zweitwichtigstes nach Hoppe genannt.
An dem Bache etwas auswärts war auch die allgemeine Vilser Bleiche mit allen nötigen Erfordernissen. In V[ilsen] selbst war eine Legge, also auch Legggemeister [etc.] Flachshandel u[nd] Flachsbereit[un]g viel in der ganzen Gegend, sogar ein Flachsmarkt, der auf dem alten Kirchhofe abgehalten wurde […]Mit Tuchwaren handelten bes[on]d[ers] Hoppe, der auch ein gr. Holtzgeschäft hatte, der Jude Lindenberg, bei dem man sehr preiswürdig k[au]fte u[nd] der selbst gar nicht jüdisch aussah…13)
Mit seiner Frau Rosa, geb. Salomon (*1810) aus Winsen, hatte Gerson David die Kinder Henriette (*1836), Salomon (*1837), David Gerson (*1839), Sophie (*1844) und Adolf (*1849). Für eine hohe gesellschaftliche Stellung spricht auch, dass zwei seiner Töchter und ein Sohn in die Lüneburger Textilhandels- und Bankbesitzerfamilie Heinemann einheirateten, die zur Lüneburger Oberschicht gehörte. Das Heinemann’sche Bankhaus war Vorläuferbank der Deutschen Bank. Tochter Henriette war die Ehefrau des wohlhabenden Stifters Markus Heinemann und Mutter von 17 Kindern. Tochter Sophie heiratete Salomon Heinemann und Sohn Adolf heiratete eine weitere Verwandte. 14) 15) 16)

1870: Familie Salomon Lindenberg
Im Alter zogen Gerson David und Rosa Lindenberg zu ihren Kindern nach Lüneburg, während der älteste Sohn Salomon das Leinenhandelshaus in Vilsen übernahm und unter dem Namen S. Lindenberg betrieb. Salomon Lindenberg war ebenfalls ein erfolgreicher Kaufmann, der wahrscheinlich bis nach Nord- und Südamerika verschiffte. Der Inspektionsbote berichtete 1910, dass der Umsatz der Firma Lindenberg um 1873 29.000 Meter Leinen, entsprechend 15.900 Mark betrug. Dies war der zweithöchste Umsatz in Vilsen, noch vor dem der Firma Vaßmer. 18)




Salomon Lindenberg war Mitglied von Bremerhavener und Hamburger Freimaurer-Logen, was ebenfalls darauf hindeutet, dass er in den Überseehäfen tätig war. Um 1870 war er Listenführer der Synagogengemeinde Bruchhausen. 23)

Er heiratete Caroline Wolfers (*1844), mit der er 5 Söhne und 2 Töchter hatte: Alfred (*1870), Richard (*1871), Emil (*1874), Klara (*1878), Hugo (*1878), Anna (*1880) und Otto (*1886). Leider verstarb Caroline schon 1890 im Alter von 46 Jahren und wurde von ihrem Ehemann und ihren noch minderjährigen Kindern sehr betrauert. Ihr Grabstein trägt einen Schmetterling.

Salomon heiratete recht schnell erneut, wohl auch um eine Mutter für seine Kinder zu haben, und zwar Elise Pommer (*1853) aus Alt-Strelitz. Mit ihr hatte er zwei weitere Kinder: Georg (*1892) und Martin (*1893).

Gegen Ende des 19. Jhdt. ging die Bedeutung der Leinenherstellung zurück, so dass die Vilser Händler sich um eine Geschäftsbelebung bemühten. Zusammen mit dem ebenfalls jüdischen Jakob Schragenheim, und den weiteren Händlern Hoppe, Vaßmer, Spilker und Achilles gründete Salomon Lindenberg die Leinenwebschule in Vilsen, ab 1899 die Genossenschaft Preussische Webereilehrwerkstätte zu Vilsen. 27)
Als weitere Massnahme wurde das Warensortiment bei S. Lindenberg erweitert, so dass um 1910 auch Spielzeug und Weihnachtsgeschenke im Angebot waren. 1914 gründete die Firma S. Lindenberg zusammen mit den Vilser Firmen Vassmer, Struß (Nachf.), Wohlers, Husman, Griepenkerl, Bischoff und Kuhlencord eine Massschneiderei für Herren und Damenbekleidung. Diese Neuerungen gingen wahrscheinlich auch schon auf das Konto der Söhne Richard und Hugo Lindenberg, die die Firma inzwischen leiteten. Salomon Lindenberg verstarb im Jahr 1917. Ab diesem Jahr ist Emil Lindenberg als Besitzer für das Lindenberg’sche Geschäftshaus eingetragen. 28)


References
↑1 | GemA BVI 03 Literatur 50.341.01 |
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↑2 | GemA BVI, 20 Bruchhausen-Vilsen, 20.331.03 |
↑3 | Schmidt-Bollmann, Günther, Friedhof Hoyerhagen [DVD], Beilage zu: Hornecker, Elfriede (2017) Woher.Wohin: jüdische Familien im Hoyaer Land, Hoya: Heimatmuseum Grafschaft Hoya e.V. |
↑4 | GemA BVI, 20 Bruchhausen-Vilsen, 20.331.03 |
↑5 | Schmidt-Bollmann, Günther, Friedhof Hoyerhagen [DVD], Beilage zu: Hornecker, Elfriede (2017) Woher.Wohin: jüdische Familien im Hoyaer Land, Hoya: Heimatmuseum Grafschaft Hoya e.V. |
↑6 | GemA BVI, 01 Kopien, 25.722.01 |
↑7 | Schmidt-Bollmann, Günther, Friedhof Hoyerhagen [DVD], Beilage zu: Hornecker, Elfriede (2017) Woher.Wohin: jüdische Familien im Hoyaer Land, Hoya: Heimatmuseum Grafschaft Hoya e.V. |
↑8 | Schmidt-Bollmann, Günther, Friedhof Hoyerhagen [DVD], Beilage zu: Hornecker, Elfriede (2017) Woher.Wohin: jüdische Familien im Hoyaer Land, Hoya: Heimatmuseum Grafschaft Hoya e.V. |
↑9 | GemA BVI, 20 Bruchhausen-Vilsen, 20.331.03 |
↑10 | Mitteilung Dr. Mestwerdt |
↑11 | NLA HA, Hann. 142, Nr. 454 |
↑12 | Bildrecht H. Schuessler, geb. Lindenberg, USA |
↑13 | Rahlfs , Heinrich [1861-1867 Lehrer, Küster u. Organist in Vilsen], Autobiografische Aufzeichnungen, Manuskript in: Stadtarchiv Walsrode, S. 461 |
↑14 | Mitteilung Familie Lindenberg |
↑15 | Mitteilung Herr Greve, Stadtarchiv Syke |
↑16 | Mitteilung Frau De Rudder, Universität Hamburg |
↑17 | Bildrecht H. Schuessler, geb. Lindenberg, USA |
↑18 | Inspektionsbote 1910-08, http://www.gemeindespiegel-blender.de |
↑19 | Bildrecht Familie Lindenberg, USA |
↑20 | Bildrecht Familie Lindenberg, USA |
↑21 | Bildrecht Familie Lindenberg, Argentinien |
↑22 | Bildrecht Familie Lindenberg, Argentinien |
↑23 | Samtgemeindearchiv Bruchhausen-Vilsen |
↑24 | Samtgemeindearchiv Bruchhausen-Vilsen |
↑25 | Bildrecht Familie Lindenberg, USA |
↑26 | Bildrecht Familie Lindenberg, USA |
↑27 | Siehe auch: https://www.kreiszeitung.de/lokales/diepholz/bruchhausen-vilsen-ort52437/spuren-leineweber-bruchhausen-vilsen-6790525.html |
↑28 | Inspektionsbote 2.1914 http://www.gemeindespiegel-blender.de |
↑29 | Inspektionsbote http://www.gemeindespiegel-blender.de |
↑30 | Inspektionsbote http://www.gemeindespiegel-blender.de |